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20.11. Tom Ludwig

Darf Kirche politisch sein?

Liebe WhatsApp-Gemeinde, seit unser Pfarrer die Israelflagge ans Pfarrhaus gehängt hat, gibt es im Ort darüber Diskussionen. Die einen finden es gut, weil die Juden für uns Christen wie Geschwister sind und weil wir Deutschen durch unsere Vergangenheit uns irgendwie verpflichtet fühlen, mit den Juden solidarisch zu sein und auch weil wir Christen gegen Terror sind und uns auf die Seite der Opfer stellen sollten.

Die anderen sind gegen eine solche Geste, weil sie der Meinung sind, es ist zu einseitig, sich auf die Seite Israels zu stellen, denn es gibt Opfer und Täter auf beiden Seiten und man müsse dann auch die Palästinenser-Flagge aufhängen. Und wieder andere sind der Meinung, Kirche sollte sich aus politischen Dingen heraushalten und sich um ihre Themen kümmern. Wie seht ihr das? Ich sehe das so:

Ja, wir Christen haben eine besondere Beziehung zu den Juden. Jesus war Jude. Der christliche Glaube ist aus dem Judentum hervorgegangen. Israel ist das Land der Bibel. Die Juden sind das von Gott erwählte Volk. Und ja, wir Deutschen haben eine ganz besondere Verantwortung für die Juden, weil wir ihnen in der Vergangenheit so viel Unrecht angetan haben. Aber ich verstehe auch die andere Seite, denn es gibt Opfer und Täter auf beiden Seiten, auch Israel macht nicht alles richtig und sie sind auch verantwortlich, dass unschuldige sterben. Genauso sind nicht alle Palästinenser Terroristen. Die einfache Bevölkerung wünscht sich genauso Frieden wie viele in Israel.

Und zu der Frage, ob Kirche politisch sein darf, möchte ich sagen: Man kann gar nicht unpolitisch sein. Denn auch Schweigen ist politisch. Wer glaubt, wenn man sich raushält, ist man unpolitisch, der irrt sich. Wer nicht zur Wahl geht, ist auch politisch. Wer sich nur um seine Familie und sein Haus und sein persönliches Leben kümmert, ist auch politisch.

Wer der Meinung ist, Kirche sollte sich um ihre Themen kümmern, was meint er damit? Was sind unsere Themen? Eines der zentralen Themen von uns Christen ist die Nächstenliebe. Und wenn wir diese ernsthaft praktizieren, dann sind wir automatisch politisch, denn dann stellen wir uns auf die Seite der Schwachen und Hilflosen und Einsamen und Kranken und werden nicht tatenlos zusehen, wenn andere diskriminiert, unterdrückt, gemobbt oder gehasst werden. Und trotz allem werden wir auch die Täter nicht vergessen und auch für sie beten, denn Gott liebt alle Menschen, auch wenn er bei weitem nicht mit allem einverstanden ist, was wir Menschen tun.

Ich bin der Überzeugung, dass wir Christen nicht auf der Seite eines Staates oder einer Partei oder einer Gruppierung sein sollten, sondern immer auf der Seite der Menschlichkeit. Das ist unser zentrales Thema, denn wir glauben an einen Gott der Liebe, des Friedens und der Barmherzigkeit.

Gott ist Liebe; und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott in ihm. (1.Johannes 4,16b)

Gnade für die Welt (Text: Jan Vering, Melodie: Siegried Fietz)