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11.04. Tom Ludwig

6. Simon von Kyrene

Erzwungenes Mitleid

Liebe Leser, warum gibt es Menschen in Deutschland, die für den Krieg in der Ukraine sind? Ja, es gibt Menschen, die machen sich das Z-Symbol aufs Auto oder an die Hauswand, um zu verdeutlichen, dass sie die russische Armee unterstützen und ihnen den Sieg wünschen. Ja, es gibt Menschen, die meinen, dass die Ukrainer selbst schuld an ihrer Lage sind oder die Amerikaner sind schuld oder die Europäer. Warum ist das so? Warum verurteilen nicht alle diesen schrecklichen Krieg? Wie kann man so etwas gut finden oder zumindest nicht schlecht? Warum haben wir nicht alle Mitleid mit den Kriegsopfern und nehmen ganz klar Stellung, dass es Unrecht ist, ein anderes Land anzugreifen? Wie kann man dafür sein?

Natürlich sind solche Fragen nicht leicht zu beantworten, weil sie sehr vielschichtig sind. Sicher gibt es auch Russen in Deutschland, die für ihr Volk und ihren Präsidenten sind. Sicher gibt es Menschen, die glauben der Propaganda Putins und seinen Leuten. Sicher gibt es auch Menschen, die sich nicht informieren und einfach Meinungen übernehmen, die ihnen vorgesetzt werden. Es gibt viele Gründe. Aber ich glaube, es gibt einen Grund, der ein interessantes Phänomen ist. Man könnte ihn so nennen: „Ich bin prinzipiell dagegen, was die Mehrheit sagt.“ Oder „Ich will zu einer Minderheit gehören, die die Wahrheit erkennt, die alle anderen nicht erkennen.“ Oder „Ich lasse mir doch nicht vorschreiben, was ich zu denken habe.“

Sicher ist diese Einstellung nicht prinzipiell schlecht. Es gibt ja auch genug Beispiele, wo die Mehrheit im Unrecht ist und ich mich dagegenstellen muss. Nur wird es bei einigen Menschen irgendwie zum Prinzip. Verschwörungstheoretiker sind dafür ein sehr gutes Beispiel. Sie glauben, dass sie eine Wahrheit entdeckt haben, die der Mehrheit verborgen geblieben ist, und das fühlt sich gut an. Man gehört so zu einer Elite. Auch bei Politikern kommt dieses Phänomen häufiger vor, vor allem in der Opposition. Manchmal habe ich den Eindruck, Hauptsache dagegen sein, egal was es ist. Heute ist es das und morgen genau das Gegenteil.

Auch die Querdenker sind ein Bespiel dafür. Oder wie soll man sich erklären, dass Gegner der Coronamaßnahmen jetzt plötzlich für den Krieg in der Ukraine sind? Das hat doch überhaupt nichts miteinander zu tun. Bei den Coronamaßnahmen kann ich ja noch ein gewisses Verständnis aufbringen, aber für einen Angriffskrieg, der vielen unschuldigen Menschen das Leben kostet, nicht. Ich glaube, es geht einfach vielen darum, dagegen zu sein. Die Politik und die Mehrheit der deutschen Bevölkerung ist gegen diesen Krieg, deshalb sind sie dafür, auch wenn es überhaupt keinen Sinn macht.

Wer die letzten Andachten verfolgt hat, weiß, dass wir zurzeit eine Themenreihe haben, wo es um Menschen geht, die Jesus auf seinem Leidensweg begegnet sind. Heute ist Simon von Kyrene dran. Er war es, der Jesus geholfen hat, sein Kreuz zu tragen, weil Jesus die Last allein nicht tragen konnte. Simon ist in die Geschichte als Held, als Helfer in der Not eingegangen, aber war er das auch? Wenn man genau hinsieht, stellt man fest, dass er Jesus gar nicht freiwillig geholfen hat, er wurde von den Römern gezwungen. Hätte er Jesus auch geholfen, wenn die Römer es nicht angeordnet hätten? Oder wäre er einfach vorbeigegangen? Das wissen wir nicht, aber klar ist, dass sich sonst niemand gefunden hat, der Jesus das Kreuz getragen hätte. Sicher auch, weil es sich niemand getraut hat. Simon von Kyrene musste es tun, ob er wollte oder nicht. Ist es trotzdem eine gute Tat? Ist es Nächstenliebe? Ist es Barmherzigkeit? Oder ist es das nur, wenn ich etwas freiwillig tue?

Ich möchte euch drei Gedanken zu Simon von Kyrene mit auf den Weg geben, die mir dazu wichtig geworden sind:

1. Nächstenliebe, Barmherzigkeit, Mitleid, anderen helfen ist für denjenigen, dem ich helfe, immer etwas Gutes, egal aus welcher Motivation heraus ich das tue. Für mich selbst wäre es besser, ich tue es freiwillig und es kommt von Herzen.

2. Wir sollten immer selbst entscheiden, was gut und was böse ist und auf unser Gewissen und auf Gott hören, egal was die Mehrheit sagt und egal was Menschen sagen, die mir nahestehen. Jeder muss sein eigenes Handeln verantworten vor seinem Gewissen und vor Gott.

3. Es gibt keine Regierungen bzw. Vorgesetzten, die nur das Falsche tun und auch keine, die nur das Richtige tun. Auch wenn die Römer, die sonst viel Unrecht getan haben, in dem Falle Simon den Befehl gegeben haben, Jesus zu helfen, so war es trotzdem etwas Gutes. Und so ist das auch heute noch. Diktatoren können auch Gutes tun und Demokratien können Fehler machen. Wir müssen differenziert denken. Das Leben ist nicht schwarz-weiß. Es gibt vieles zwischen Gut und Böse.

Und deshalb lasst uns eigenverantwortlich handeln und das Gute tun, egal wer es verbietet und egal wer es anordnet. Gott helfe uns dabei.

Würdig ist das Lamm (Text + Melodie: Darlene Zschech)