„Todesstrafe für Kinderschänder“
Liebe Leser, vor einiger Zeit fuhr ich hinter einem Auto her, auf dem riesengroß hinten auf der Heckscheibe dieser Satz stand und dazu war noch eine Zeichnung mit einem Baum. An dem einen Ast hing eine Schaukel mit einem Kind drauf und an dem anderen Ast hing ein Mann an einem Galgen. Ich war ziemlich schockiert. Warum macht man sich so etwas an sein Auto? Hat er oder sie selbst schlimme Erfahrungen damit gemacht, vielleicht an sich selbst oder am eigenen Kind? Steckt hinter so einem Aufruf eine Wut, ein Hass, eine Enttäuschung oder vielleicht auch ein Hilfeschrei? Oder wollte diese Person einfach nur Aufmerksamkeit? Oder war es ein politisches Bekenntnis? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur noch, dass es mich ziemlich aufgewühlt und zum Nachdenken gebracht hat.
Ein Christenlehrekind aus meiner alten Gemeinde hat mir mal eine sehr schlimme Geschichte erzählt: Als sein Vater noch ein Kind war, spielte er mit seiner kleinen Schwester draußen vorm Haus. Da kam ein Mann mit einem Moped und er frage den Jungen, ob er mit seiner Schwester eine Runde fahren dürfte. Der Junge wollte nicht. Doch der Mann auf dem Moped redete so lange auf ihn ein, bis er endlich zustimmte. Seine kleine Schwester stieg auf das Moped und der Mann fuhr mit ihr fort. Sie kam nie wieder. Später fand man das keine Mädchen tot im Wald. Was für ein schreckliches Erlebnis für das Mädchen, aber auch für den großen Bruder, der sich wahrscheinlich ein Leben lang Vorwürfe macht. Kann man da den Schrei nach der Todesstrafe für diesen Täter verstehen?
In Europa gibt es nur noch ein einziges Land, wo die Todesstrafe im Gesetz verankert ist – Weißrussland. Alle anderen Europäischen Länder habe sie abgeschafft. Findet ihr das gut? In den USA wird die Todesstrafe immer noch praktiziert und interessanter Weise sind dort auch viele Christen dafür. Und ich frage mich: Kann man als Christ für die Todesstrafe sein? Passt das mit unserem Glauben zusammen? Scheinbar schon, denn wie so vieles kann man auch die Todesstrafe mit der Bibel begründen.
Im Alten Testament wird sie mit einer großen Selbstverständlichkeit praktiziert. Aber da geht es nicht nur um Mörder oder Kinderschänder, sondern auch um unerlaubtes Betreten heiligen Bodens, die Eltern schlagen, Menschenraub, den Eltern fluchen, Zauberei, Sodomie, Entheiligung des Sabbats, Kindesopfer für fremde Götter, Ehebruch, Homosexualität, Inzest, Verkehr mit einer Frau während ihrer Monatsregel, Wahrsagerei, Hurerei, Gotteslästerung, Götzendienst, Falschaussage vor Gericht, nachhaltiger Ungehorsam gegen die Eltern und anderes mehr. Für all diese Dinge wurde im AT die Todesstrafe verhängt. Wenn wir also als Christen Argumente für die Todesstrafe in der Bibel suchen, dann müssten wir uns dafür stark machen, dass all diese Delikte damit bestraft werden. Ist das gerecht? Ist das der Wille Gottes?
Im Neuen Testament gibt es keine direkten Aussagen zu diesem Thema. Eine Geschichte könnte man allerdings in diese Richtung auslegen, nämlich die von Jesus und der Ehebrecherin in Johannes 8. Die führenden Juden wollen eine Ehebrecherin steinigen, wie es in den Gesetzen des AT verlangt wird. Doch sie bringen die Frau vorher zu Jesus und wollen seine Meinung dazu wissen. Und wie Jesus darauf reagiert, fasziniert mich immer wieder. Er sagt: „Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie.“ Natürlich kann man daraus nicht unbedingt ableiten, dass Jesus prinzipiell gegen die Todesstrafe war, aber für mich macht diese Geschichte eine sehr wichtige Sache deutlich: Wer hat denn das Recht, die Todesstrafe zu vollstrecken? Die Gerechten? Der Staat? Gilt das Gebot „Du sollst nicht töten“ nicht für alle? Darf man einen Verbrecher töten und wenn ja nach welchem Verbrechen?
Und so komme ich persönlich nach allem Hin- und Herüberlegen und bei allem Verständnis für die Wut der Betroffenen auf folgendes Ergebnis: Die Todesstrafe ist nicht im Sinne Gottes, und zwar aus vier Gründen:
- Jesus ist für Barmherzigkeit und Vergebung selbst für Kinderschänder und Mörder. Natürlich müssen diese Verbrechen bestraft werden, aber das geht auch ohne Todesstrafe.
- Ich bin der Überzeugung, dass keiner das Recht hat, andere Menschen zu töten, egal was sie getan haben. Die Vollstrecker der Todesstrafe machen sich damit auch schuldig.
- Es ist absolut und nicht rückgängig zu machen. Was ist mit denen, die unschuldig verurteilt wurden? Sicher ist es trotzdem schlimm, wenn ein Unschuldiger Jahre lange im Gefängnis verbringen muss, aber man kann ihn trotzdem freisprechen und entschädigen. Das geht bei der Todesstrafe nicht.
- Die Todesstrafe kann missbraucht werden. In Diktaturen kann sie für politische Gegner eingesetzt werden. Oder in religiös fanatisch geführten Ländern kann sie im religiösen Sinne missbraucht und gegen die Religionsfreiheit eingesetzt werden.
Welche Meinung habt ihr zu diesem Thema? Schreibt mich einfach an, es interessiert mich wirklich sehr. Das letzte Wort meiner Andacht soll aber Jesus haben:
Wer von euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.